Geheimnisvolle Osterinsel
Etwa 3600 Kilometer westlich der Küste Chiles liegt eine kleine Insel inmitten des Pazifischen Ozeans. Es ist einer der einsamsten Orte der Welt, abseits der großen Schiffahrtsrouten, auf Karten nicht größer als ein Stecknadelkopf.
Doch dieses winzige Fleckchen Erde steckt bis heute voller Rätsel und Geheimnisse...
Am Ostersonntag des Jahres 1722 entdeckte der niederländische Admiral Jakob Roggeveen eine bis dahin den Europäern nicht bekannte Insel und nannte sie `Paasch-Eyland´-`Osterinsel´, nach dem Tag der Entdeckung. Möglicherweise handelte es sich bei der Insel um die gleiche, die der britische Freibeuter Edward Davis im Jahr 1680 (oder 1687) entdeckt hatte, und ihr den Namen `Davisland´ (oder `Davidsland´) gegeben hatte. 1770 wurde der Name durch einen vorbeisegelnden Spanier in `Don-Carlos-Insel´ geändert, zu Ehren des damaligen spanischen Königs. In der Sprache der Eingeborenen heißt das Eiland `Rapa Nui´ (Großer Stein). Gebraucht wird auch der Name `Te pito o te henua´ (Nabel der Welt, Das Auge, das zum Himmel blickt). In der offiziellen Amtssprache lautet ihr Name `Isla De Pascua´. In älteren Lexika findet sich auch die Bezeichnung `Waihu´.
Weltweit bekannt geworden ist die Insel vor allem durch ihre Kolossal-Statuen, die sogenannten Moai. Entstanden sind sie vermutlich etwa in der Zeit von 1000 bis 1700, möglicherweise auch nur bis ca. 1500. Über die gesamte Insel verteilt gibt es mehr als 600 von ihnen. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Steinfiguren einander zum Verwechseln ähnlich, Rümpfe mit überproportional großem Kopf, markantem Kinn, tiefen Augenhöhlen und langen Ohren.
Ein einziger der bisher (bei Ausgrabungen) entdeckten Moai, der vermutlich eines der ältesten Exemplare ist, wird mit Beinen dargestellt und hat auch sonst von seinen `Artgenossen´ abweichende physiognomische Eigenschaften. Er ist der bisher einzige Moai, der einen Kinn-Bart trägt.
An der `Geburtsstätte´ der Figuren, den Hängen des erloschenen Vulkans Rano Raraku, wurden bis heute etwa 200 unvollendete Statuen gezählt, in allen Stadien der Fertigung. Bei einigen sind erst schwach die Konturen im Fels zu erkennen, andere sind nur noch an schmalen Keilen mit dem Muttergestein verbunden, manche sind nur roh behauen, andere bereits fertig poliert und bereit für den Transport zu ihren Bestimmungsplätzen.
Wie nun dieser Transport vor sich ging, ist mit letzter Sicherheit noch nicht geklärt und bis heute Gegenstand von Spekulationen. Die im ersten Moment plausibel erscheinende Methode des Liegend-Transportes auf Baumstämmen oder Rollen muß angesichts der heute kärglichen Vegetation (nicht mehr als dürre Gräser) auf der Insel in Frage gestellt werden (allerdings haben neuere Untersuchungen gezeigt, daß die Insel in früherer Zeit üppig bewachsen war, doch dazu später mehr).
Nach Überlieferungen der Eingeborenen sind die Statuen `aufrecht von selbst´ zu ihrem angedachten Standort gegangen. Thor Heyerdahl hat in einem Experiment bewiesen, daß es möglich ist, eine aufgerichtete Statue, die von mehreren Seiten durch Seile gesichert ist, durch vorsichtige Kipp- und Drehbewegungen `gehen´ zu lassen. Entlang der Transportwege vom Rano Raraku zu den Küsten finden sich etliche zerbrochene Moai, was eher gegen einen Liegend-Transport sprechen würde.
Das Gestein des Vulkans Rano Aroi weist eine Tönung ins Rötliche auf. Aus diesem Material wurden die Kopfbedeckungen hergestellt, die die Moai vervollständigen. Stand der Moai schließlich auf der Tempelplattform (Ahu) am Strand (Blickrichtung ins Landesinnere!), so wurde dann ein bis zu 4 Tonnen schwerer Pukao (`Haarknoten´) hinaufgehoben. Eventuell wurde der Pukao auch schon am liegenden Moai mit Stangen und Seilen befestigt und beides als Einheit aufgerichtet. Abschließend erhielt der Moai seine Augen aus weißem Korallenkalk, dazu schwarze Pupillen.
Wer waren nun die Schöpfer dieser mächtigen Gestalten? Wann und woher sie kamen, ist, wie so vieles, nicht endgültig geklärt. In der Überlieferung wird von einem Häuptling namens Hotu Matua berichtet, der im Jahr 380 (oder auch 500) n.Chr. aus seiner Heimat Marae Renga im polynesischen Hiva-Archipel auf die Osterinsel kam. Nach seinem Tod wurde die Insel unter seine Kinder aufgeteilt, woraus die verschiedenen auf der Insel beheimateten Stämme hervorgingen.
Eine andere Theorie stellte der Norweger Thor Heyerdahl auf. Er fand viele Indizien dafür, daß die Besiedlung der Insel durch Seefahrer aus Südamerika erfolgte. Überhaupt haben Forscher und Wissenschaftler bei vielen Kulturen auf der ganzen Welt Verbindungen zur Osterinsel gefunden, bzw. umgekehrt, so z.B. zu China, der Induskultur, Ägypten.
Ein wichtiges Indiz für Thor Heyerdahl für seine Besiedlungs-These sind die Boote der Insel und das Material, aus dem sie gebaut sind. In den Kraterseen des Rano Kao und Rano Raraku wächst eine Schilfpflanze namens Totora. Aus dieser, zu Bündeln gefaß und mit der entsprechenden Kenntnis weiterverarbeitet, lassen sich unsinkbare Boote fertigen. Die Aymara-Indianer vom Titicacasee im heutigen Peru, bzw. Bolivien benutzen bis heute Boote aus Totora-Schilf. Stammesangehörige halfen Heyerdahl mit ihrem Wissen, aus Schilfgras die hochseetüchtige `Tigris´ zu bauen, mit der eine mögliche See-Verbindung zwischen Asien (Mesopotamien, Harappa-Kultur am Indus) und Afrika (Ägypten) im Experiment nachgewiesen werden konnte. Auf dem Titicacasee wurden Schilfboote dazu benutzt, tonnenschwere Steinblöcke in die Stadt Tiahuanaco zu transportieren.
In Tiahuanaco, heute eine Ruinenstadt, ein Zentrum einer alten, vorkolumbianischen Kultur, gibt es monolithische Figuren, die in ihrer Art durchaus an die Moai der Osterinsel erinnern. Besonders frappierend ist die Ähnlichkeit der Baustile, das Zusammenfügen von millimetergenau behauenen Felsbrocken, die mörtelfreie Errichtung gewaltiger Mauern mit Fugen, in die nicht einmal eine Messerklinge paßt. Die ersten Ahus (ca. 700 n. Chr.), die Plattformen an der Küste der Osterinsel, auf denen die Moai standen und ins Landesinnere blickten, sind auf die gleiche Art und Weise errichtet worden.
Die Möglichkeit eines Kontaktes zwischen Südamerika und Polynesien wies Heyerdahl durch die Fahrt der `Kon-Tiki´ nach, eines nach Inka-Vorbild gebauten Floßes aus Balsaholz, mit dem er von Peru aus ca. 8000 Kilometer nach Westen segelte und dabei auch an der Osterinsel vorbeikam.
Ohne jetzt näher darauf eingehen zu wollen und zu können, welche Einwanderungsgruppe wann auf die Insel kam, so scheint es heute sicher, daß bis 1680 die Machtverhältnisse dergestalt waren, daß der Stamm der `Langohren´ über die `Kurzohren´ herrschte. Die Kurzohren setzten sich zur Wehr und trieben die Langohren auf die Poike-Halbinsel im Nordosten der Insel, wo diese sich verschanzten und einen Graben aushoben, um die Rebellen darin zu verbrennen. Durch Verrat gelang es den Kurzohren jedoch, ihrerseits die Langohren in die Flammen zu treiben, wobei die Langohren bis auf drei Menschen getötet wurden. Einige Eingeborene behaupten heute noch, von einem der Überlebenden abzustammen. Von diesem Tag an wurden Moai umgestürzt statt aufgerichtet.
Als also die Europäer die Insel 1722 das erste Mal betraten, hatte sie schon mehrere Entwicklungsstufen und ihre eigentliche `Blütezeit´ hinter sich gelassen. Ohne schriftliche Aufzeichnungen wurden die zurückliegenden Ereignisse nur mündlich überliefert und lassen sich heute nur aus den Berichten der Seefahrer und den archäologischen Untersuchungen rekonstruieren.
Nach Roggeveen 1722 (Reisebericht von C.F.Behrens) folgte 1770 der Spanier de Haido, der aber die Insel nur kurz annektierte, ein Kreuz aufstellen ließ und dann wieder weitersegelte. Mehr wissenschaftliche Interessen verfolgte da schon die Expedition von James Cook, der auf seiner dritten Pazifik-Reise die Osterinsel 1774 besuchte (Bericht von J.R. und G. Forster). Änliche Absichten hatte die französische Expedition von La Pèrouse, 1786. Weitere Besucher im 19. Jahrhundert waren Lisjanskij (1804), von Kotzebue (1816), Du Petit-Thouars (1838).
Zwischen dem Kraterrand des Rano Kao am Südrand der Insel und dem Meer lag das Dorf Orongo. Es birgt heute die Reste von etwa zwanzig Häusern aus mörtellos aufgeschichteten Steinen. In der unmittelbaren Nähe des Dorfes finden sich ca. 150 Felszeichnungen von Menschen und Tierfiguren
Dieser Ort war das Zentrum des sogenannten Vogelmenschenkultes. Einmal jährlich fanden sich mutige Männer für einen gefährlichen Wettkampf ein. Wer im Frühjahr auf der vorgelagerten Klippeninsel Motu Nui das erste Ei der Rußseeschwalbe fand, galt ein Jahr lang als `Vogelmann´ und erfuhr als geistiges Oberhaupt der Insel Verehrung und Gehorsam. In einer Hütte am Fuß des Rano Raraku verbrachte er die Zeit, bis nach einem Jahr das Ei seine Magie verlor und der Wettkampf erneut stattfand.
1867 (evtl. auch schon 1862) wurde der Vogelmenschenreligion und der gesamten Inselkultur ein jähes Ende bereitet. Peruanische Sklavenhändler überfielen die Insel mehrfach und verschleppten fast alle männlichen Eingeborenen (ca. 1000 Menschen) zur Zwangsarbeit auf peruanischen Guanofelsen. Nach wenigen Monaten lebten noch etwa 100 Menschen. Die 15 Überlebenden, die nach geistlicher Fürsprache befreit wurden, schleppten bei ihrer Rückkehr auf die Insel die Pocken ein und besiegelten so den Untergang der alten Kultur der Osterinsel. 1850 hatte die Insel etwa 4500 Einwohner. 1876 lebten noch 53 Männer, 26 Frauen und 31 Kinder.
Die Vegetation der Insel macht auf den heutigen Betrachter einen sehr kärglichen Eindruck. Es gibt kaum Bäume und das dürre Gras reicht gerade, um Schafe und Pferde weiden zu lassen. Pollenuntersuchungen aus Sedimenten der Vulkankraterseen (untersuchbare Erdschichten `an Land´ sind nicht vorhanden, der ständige Wind läßt den Boden zu stark erodieren) ergaben, da& es auf der Insel einmal Bäume (Kiefern, Maulbeer- und Toromirobaum) und tropische Pflanzen gab. Auch frühe Expeditionen (1722/Roggeveen, 1774/James Cook, 1786/La Pérouse) berichten von `blühenden Pflanzungen´ und einem `irdischen Paradies´. Möglicherweise hat die intensive Schafzucht im 19. Jahrhundert für das Bild gesorgt, das uns die Insel heute bietet. Diese erklärt jedoch nicht das fast völlige Fehlen von Bäumen (neu angepflanzte Eukalyptusbäume erreichen eine Höhe von bis zu 20 Metern, gedeihen also eigentlich recht gut).
Aus dem Holz des Toromirobaums wurden die Kavakava-Moai geschnitzt, die vermutlich die Geister von Vorfahren symbolisieren. Es sind hagere, leicht gebückte Figuren mit ausgeprägt gearbeiteten Rippen. Entstanden in einem Zeitraum nach der Erschaffung der steinernen Moai haben etwa 30 originale Figuren den Untergang der Osterinselkultur überstanden. Kopien dieser Figuren sind heute beliebte Souvenirs für Touristen.
Auf der Osterinsel gibt es, bedingt durch den vulkanischen Ursprung, eine Vielzahl von Spalten, Klüften und Höhlen. Einige von ihnen sind bis heute im Besitz der Einwohner (`Familienhöhlen´), die das Geheimnis ihrer Lage sorgsam hüten. Die Eingänge sind meistens so gut verborgen und so eng, daß ohne genaueste Ortskenntnis die Höhle kaum gefunden werden kann. In den Höhlen selbst werden Kultgegenstände aus dem Besitz der Familien aufbewahrt.
Eine der allgemein bekannten, jedoch durch ihre Klippenlage sehr schwer zugängliche Höhle, liegt im Nordosten der Insel auf der Poike-Halbinsel. In dieser wurden, vermutlich zu kultischen Zwecken, Frauen eingesperrt und so vor der Sonne verborgen, so daß ihre Haut einen bleicheren Ton bekam. Das natürliche Gefängnis heißt daher auch die `Höhle der weißen Jungfrauen´.
Als einzige aller Inseln des polynesischen Raumes besitzt die Osterinsel vermutlich eine eigene Schrift. Vermutlich deshalb, weil bisher noch niemand in der Lage war, die auf den `Rongo-Rongo´-Tafeln eingeritzten Bildzeichen (Menschen, Symbole, Tiere) zu entziffern. Erschwert wird die Untersuchung dadurch, daß bis auf 23 Exemplare alle Holztafeln während des Versuchs der Christianisierung durch Missionare als heidnische Kultgegenstände abgetan und vernichtet wurden. Die verbliebenen Stücke gelten heute als wertvolle Exponate in ethnologischen Sammlungen der ganzen Welt.
Es wird berichtet, daß die Moai die Rongo-Rongo-Tafeln um den Hals hängen hatten und daß Priester bei Zeremonien die Tafeln `lasen´, wobei sie sie ständig drehten und die `Lese´richtung veränderten. Der letzte in das Geheimnis der Entzifferung Eingeweihte soll 1914 gestorben sein. Seither haben sich Kryptologen, Ethnologen, Informatiker und Linguistikprofessoren an der Entschlüsselung versucht, jedoch bisher ohne den Erfolg, ein übersetzbares Schriftsystem zu entdecken. Allerdings wurden überraschenderweise sehr große Ähnlichkeiten zu Schriftzeichen aus Altchina und der Induskultur (Harappa-Kultur mit der Hauptstadt Mohenjo Daro) gefunden.
Einen Hinweis auf das Alter der Tafeln gibt das Holz, auf dem die Zeichen eingeritzt sind. Dabei handelt es sich um als Treibholz auf die Insel gelangtes Material, nicht älter als 300 Jahre. Damit ist nicht bewiesen, daß es nicht Tafeln gab, die älter waren, die jedoch zerstört wurden. Jedoch ist es auch nicht undenkbar, daß nur ein Kulturgut der europäischen Welt kopiert wurde: Fast alle Forschungsreisenden aus der Alten Welt, die die Insel anliefen, führten Logbücher, machten Aufzeichnungen und fertigten Skizzen an. Bei der Inbesitznahme der Insel durch Felipe Gonzales de Haido für Spanien im Jahr 1770 setzten die Stammeshäuptlinge ihre `Unterschrift´ unter eine Urkunde. Möglicherweise Anlässe für die Insulaner, selbst zu `schreiben´.
Hier finden Sie Informationen zur Sprache der Osterinsulaner, eine kurze Chronologie, Quellennachweise und weiterführende Literaturangaben!